LOGBUCH

Hier sind viele wissenswerte Informationen, einige Beobachtungen und inspirierende Gespräche systematisch und (beinahe) chronologisch festgehalten. Ein Blick in unser Logbuch lohnt sich für Ideenfindung, Recherche im Blog, Inspiration und für die Navigation des eigenen Kurses.

Jansen und Jansen Interview Birte Fritsch

Ein Gespräch mit Birte Fritsch

Inhaltsverzeichnis

    „Birte Fritsch ist seit Januar 2020 in verschiedenen Funktionen und seit April 2020 als feste Kuratorin für das „Zentrum für verfolgte Künste“ [in Solingen]* tätig. Zuvor betreute sie verschiedene Projekte, zum Beispiel bereits für das Zentrum für verfolgte Künste die Ausstellung ‚David Olère. Überlebender des Krematoriums III‘ im Deutschen Bundestag zum 75-jährigen Jubiläum der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz und 2018/2019 das Else-Lasker Schüler Jahr zum 150. Geburtstag der deutsch-jüdischen Dichterin als Projektleitung und Kuratorin für das Kulturbüro der Stadt Wuppertal.“

    „Das sind im Bereich Kulturmanagement so die beiden Steckenpferde, die ich nennen würde. Wobei man sagen muss, dass ich seit 2012 im Wuppertaler Kulturleben an verschiedenen Stellen aktiv geworden bin. Im Skulpturenpark Waldfrieden habe ich ab 2012 zunächst überwiegend fremdsprachige Führungen übernommen; und seit 2013 konnte ich mich hier in Wuppertal in die Organisation der Literaturbiennale mit einbringen und konzipiere, moderiere auch Veranstaltungen, auch zum Beispiel bei den jüdischen Kulturtagen hier in Wuppertal. Außerdem war und bin ich in verschiedenen Kulturvereinen tätig und versuche, das Kulturleben dieser Stadt und dieser Region mitzuprägen.“

    Kreativ Kontor: Kultur ist ja vieles. Bei dir höre ich gerade heraus, dass es viel mit Literatur zu tun hat. Woher kommt die Liebe?

    „*lacht* „Ja, ich habe Romanistik, Germanistik, Philosophie und Komparatistik studiert und auch meine Promotion ist in einem kernkomparatistischen Thema angesetzt. Das ist es, was mich – glaube ich – mein Leben lang begleitet hat. Ich wollte das eigentlich nie als solche Berufung anerkennen und hatte auch vielleicht nicht immer die Idee, dass mich mein Beruf genau da hinziehen würde. Im Zentrum haben wir auch eine sehr große Literatursammlung. Das ist etwas, womit ich mich auch in Zukunft sehr gerne und sehr intensiv befassen möchte. Denn viele der Ausstellungen, die wir bisher realisiert haben, hatten einen ganz klaren Fokus auf bildender Kunst. Ich glaube, dass ich immer schon jemand war, der ästhetische Artefakte jedweder Art zu schätzen wusste. Aber da ist es definitiv die Literatur als etwas, was man eben auch mitnehmen und einfach überall genießen kann. Das hat mich mein Leben lang begleitet.“

     

    Kreativ Kontor: Deine akademische Ausbildung hat, wenn ich das richtig in Erinnerung habe, an der Bergischen Universität Wuppertal stattgefunden, wo du ja mehrere Fächer studiert hast. Und momentan bist du auch noch Doktorandin an der Uni Münster?

    „Genau, ich bin an der Universität Münster. Momentan ist das ganz gut *lacht*. Ich habe vorher schon in Wuppertal Lehraufträge wahrgenommen und hier auch mein Konzept und mein Exposé auf die Beine gestellt. Seit 2015 bin ich in Münster und mache dort meine Promotion. Wobei ich wiederum in Wuppertal Lehraufträge durchgeführt habe, weil hier auch mein Mentor sitzt; Prof. Dr. phil. Matei Chihaia begleitet nach wie vor viele Schritte meiner Arbeit.“

     

    Kreativ Kontor: 2015 sagtest du gerade eben, das hört sich so weit weg an. Aber wenn man das mal näher betrachtet, erkennt man, dass in dieser Zeit, in diesen sechs Jahren, ungeheuer viele Dinge passiert sind. Du bist einerseits gerade Doktorandin, du bist dazu Lehrbeauftragte an der Uni Osnabrück, wo du mit Studierenden zusammenarbeitest, du hast Lehraufträge in Wuppertal und Münster wahrgenommen, du hast, wie du gerade schon sagtest, dann das Else Lasker-Schüler-Jahr in Wuppertal geleitet – mit den dazugehörigen Programmveranstaltungen zum Projekt. Dann warst du, wenn ich das richtig in Erinnerung habe, eine längere Zeit Geschäftsführerin bei einem Unternehmen in Wuppertal welches auf Firmenkommunikation und Personalentwicklung spezialisiert ist. Also es kommt viel zusammen. Es ist jetzt nicht so, dass du nur an einem Projekt arbeitest. Das sind bei dir immer mehrere Projekte.

    „Was mir auch immer schon lieb war, sprich, mir war immer sehr daran gelegen, unterschiedliche Inhalte produktiv miteinander zu verknüpfen, wie man es auch im Studium macht, um fruchtbare Schnittstellen zu finden. Es war mir im Privaten und auch in der beruflichen Biografie immer wichtig, verschiedene Bereiche kennenzulernen und verschiedentlich Verantwortung zu übernehmen. Genauso wie ich es wichtig finde, in vielen Bereichen eine Haltung zu zeigen, eine soziale Verantwortung zu tragen, auch in beruflichen Projekten und Inhalten, die es da umzusetzen gilt.
    Und ja, meine Zeit bei Concept Communications war prägend. Ich habe natürlich auch da verschiedene Positionen ausgefüllt und bin mit unterschiedlichen Kund:innen in Berührung gekommen. Ich hatte auch ganz großartige Kolleg:innen, die ganz vielfältige Dinge mitgebracht haben – was mich sicherlich auch weitergebracht hat in dem, wie ich heute arbeite. Auch wenn ich jetzt nicht mehr im Feld der Personalentwicklung tätig bin, konnte ich dennoch vieles daraus mitnehmen und es jetzt noch weiterführen. Ich glaube, dass ganz viel, was die Museumsarbeit angeht, auch darüber hinausgeht; wie man beispielsweise Ausstellungen konzipiert das ist schon ein wahnsinnig komplexes Feld.“

     

    Kreativ Kontor: Du hast mir letztes Jahr von der Ausstellung in Berlin im Bundestag erzählt. Das war ja die erste größere Ausstellung, die du damals für das Zentrum für verfolgte Künste mitgemacht hast. Du erzähltest von den vielen Eindrücken und tollen Momenten, die du dort erleben durftest.

    „Ja, das war ad hoc mein Einstieg. Zum 1. Januar habe ich angefangen im Zentrum zu arbeiten und dann ging das alles rasend schnell. Ende Januar, am 29. – also nicht am 27., dem Tag der Befreiung – fand die Gedenkstunde im Bundestag statt. Das lag daran, dass [Bundespräsident]* Steinmeier am 27. Januar in Yad Vashem war, dann in Auschwitz und dann erst in Berlin gewesen ist. Dadurch waren diese Gedenkstunde und die Ausstellungseröffnung am 29. Das ging rasend schnell in so kurzer Zeit, es waren wahnsinnig viele Dinge umzusetzen und für uns alle, die beteiligt waren, war diese Eröffnung auch ein doppelt aufgeladener Moment. Also einerseits, da wir unsere Arbeit bis zu diesem Moment auch fertig haben mussten – und gleichzeitig, dass wir die Früchte unserer Arbeit erleben konnten.
    Es war ein wahnsinnig bewegender Tag. Es gab eine wirklich sehr anrührende Rede von Wolfgang Schäuble. Igor Levit hat auf dem Klavier gespielt. Es waren bewegende Momente. Und eben auch in diesem ungewohnten Umfeld im Bundestag, in dem man sich vorher schon ein, zwei Wochen bewegt hat, dann auch noch mal diese ganz andere Stimmung wahrzunehmen. Auch bei denjenigen, die man vorher gesprochen hat, die Leute, mit denen man auch abklären musste, wie das jetzt genau aussehen soll. Ganz viele Abgeordnete haben vorher schon in der Ausstellung Videos für ihre sozialen Medien aufgenommen. Wir haben da interessante Gespräche auch über das geführt, was wir machen und wie wir uns positionieren und inwiefern die Arbeit, die wir im Zentrum machen, eben mehr ist; als die museale Arbeit eines klassischen Kunstmuseums. Und dann gab es diese Öffnung und es war einfach, einfach bewegend und schön.“

     

    Kreativ Kontor: Ein Einstieg mit viel Action, mit viel Stress natürlich auch. Und dann kam Corona. Also einmal voll auf die Bremse getreten. Wie geht ihr momentan im Zentrum mit diesem Thema und den damit verbundenen Problemen um?

    „Probleme hatten wir alle. Es war wahrscheinlich auch unser Glück, dass wir damals noch nicht haben ahnen können, wie lange das dauert. Als wir in diesen Zustand gerieten, in dem wir jetzt sind – das hat sich ein bisschen angefühlt wie Treibsand an ganz vielen Stellen. Da kann ich später noch zu kommen. So etwas kannte man ja damals noch nicht.
    Also ich weiß noch, dass wir an dem 13. März 2020 in einem ein Team-Meeting zusammengesessen hatten. Zu Beginn des Team-Meetings stand einfach die Frage: was machen wir? Wie gehen wir vor? Wird es zu einer Schließung kommen? Was machen wir, wenn es denn so kommt? Am Ende des Team-Meetings war eigentlich klar bzw. in der Zwischenzeit von offizieller Seite kommuniziert worden: okay, es gibt die Schließung und es gibt die Anweisung, dass wir eigentlich alle zu Hause bleiben sollten. Dann haben wir in diesem ersten Lockdown sehr produktiv gearbeitet. Wir haben wirklich schnell gute Lösungen gefunden.
    Alleine über dieses Wochenende, was dann folgte auf den Freitag, den 13., hatten wir schon unheimlich viele Pläne entwickelt. Direkt am Montag, im ersten Remote-Team-Meeting, hatten wir schon wahnsinnig viele Ideen und haben sehr schnell angefangen mit dem Podcast. Was ich total gut finde, dass wir eben auf ein auditives Medium gesetzt haben. Wir haben uns für den Podcast entschlossen – dazu entschieden, wieder mit Worten etwas zu formen; was mir auch total gut liegt und gefällt: Worte für Dinge aufzuwenden.
    So glaube ich, dass das Wort immer noch eine Wahnsinnskraft hat und eine eigene Ästhetik, dass das Wort ein sehr wirkmächtiges Potenzial entfalten kann. Dann haben wir aus der Isolation heraus eine Ausstellung konzipiert, die wir so gar nicht vorgesehen hatten. Diese Planungsintervalle im Museum sind ja immer recht lang. Es ist nicht so, dass wir uns jetzt entscheiden, was wir im September machen. So etwas steht immer schon viel früher fest. Und da war es dann eben so, dass wir auf einmal – tabula rasa – die Ausstellungen absagen mussten, die wir eigentlich für das Jahr geplant hatten; um dann etwas völlig Neues zu machen. In einem Moment, in welchem damals auch noch vage eine Wiedereröffnung möglich war. Wir haben aber schöne Wege gefunden. Und diese erste Zeit war eigentlich von der Euphorie im Aufbruch getragen. Wir haben viel bewegt in der ersten Jahreshälfte.“

     

    Kreativ Kontor: Ihr habt es dann im letzten Jahr tatsächlich geschafft, eine große Hürde zu nehmen. Ihr hattet ein Projekt im Haus, was an einem Ort stattfinden sollte, welcher noch einmal größer als der Bundestag ist. Dazu habt Ihr dann auch noch (trotz oder gerade wegen der vielen Probleme) ein Konzept gemacht, was einen ganz neuen Ansatz verfolgt.

    „Das war irre. Einerseits tat es mir ersten Moment sehr leid, weil mein erstes Jahr auch eigentlich geprägt sein sollte von verschiedentlichen Reisen. Wir hatten vor, im April, also vor genau einem Jahr, nach Israel zu reisen. Wir hätten eine Schenkung an Yad Vashem vorgenommen. Es kristallisierte sich immer mehr heraus, dass wir im Foyer der UNO, also im Hauptquartier in New York, eine Ausstellung eröffnen würden, die unser Haus und unsere Anliegen repräsentiert. Ja, das wäre natürlich großartig gewesen. Und das tat schon weh, dann einsehen zu müssen, auch relativ schnell, dass das wohl nicht mehr würde stattfinden können. Es war uns aber ganz schnell klar, dass wir das aber nicht abreißen lassen wollten. Und dann haben wir auch da, ähnlich wie nach diesem Team-Meeting bei uns im Zentrum, ganz viele Ideen sprudeln lassen.
    Wir haben dann eben mit den zuständigen Ansprechpartner:innen bei der UNO gesprochen, wo es darum ging, was wir jetzt für Wege finden können, das kreativ umzusetzen. Und dann haben wir ganz schnell das Format einer Web-Ausstellung für uns definiert. Dann hat es noch mal sehr lange gedauert, bis der rechtliche Rahmen abgesteckt war. Wir hatten Ende April das erste Mal mit unseren beiden Ansprechpartnerinnen bei der UNO besprochen, dass wir wirklich konkret eine Web-Ausstellung ins Auge fassen würden. Dann hat es bis Ende Juni gedauert, bis wirklich die erste Freigabe kam, dass wir überhaupt handlungsfähig werden. Und dann hat es noch mal bis Anfang August gedauert, bis wir eine rechtliche Zusicherung hatten. Den genauen Text, das genau „Wording“, hatten wir wirklich erst kurz vor Ausstellungseröffnung.“

     

    Kreativ Kontor: Ich kann mich noch erinnern, wie wir euch, also dem Zentrum, die ersten Designentwürfe präsentiert haben und wie lange es dann gedauert hatte, bis wir den gesamten Content von all den teilnehmenden Partnern hatten. Es wurde ja dann eine richtige Punktlandung mit einer sehr emotionalen Eröffnung von www.7places.org im Zentrum für verfolgte Künste. Worauf ich gerne noch mal kommen wollen würde, ist deine Funktion als leitende Kuratorin für das Zentrum. Ein Berufsfeld, welches oft durch Männer geprägt ist. Ist es da schwer, eben kein Mann zu sein?

    „Ich glaube es überall kompliziert. Also ich glaube, dass es schade ist, weil es viele Studien zum Kulturbetrieb gibt, die genau das zeigen, obwohl man eigentlich denkt, dass das so eine bunte, diverse Welt ist. Gerade irgendwie in der Kultur. Es gibt so schöne Sätze über die Frau in der Musik von Françoise Cactus – ist jetzt leider neulich verstorben – die Frau in der Musik und was sie tut und was sie eben nicht tun kann. Ich glaube, dass es gerade die Sparte Kultur ist, in der man vermeintlich viele Frauen wahrnimmt und auch ganz diverse Persönlichkeiten wahrnimmt. Aber trotzdem liegen ganz viele Sphären, wenn nicht gar alle, immer noch in einer Domäne, in der die Leitungspositionen in Deutschland im Wesentlichen besetzt werden – also es sind natürlich alte weiße Männer.
    Das ist ganz klar etwas, was den ganzen Spielraum einnimmt und was an Vielfältigkeit dann doch wieder ein bisschen, auch sublime oder offenkundige Einschränkungen vornimmt. Das ist etwas, was ich total schade finde. Das ist aber auch etwas, worauf wir bei uns zum Beispiel aktiv eingehen, weil ich glaube, dass Diskriminierung vielfältig sein kann und es eben auch ist. Mit dem „Code of Ethics“ bei uns im Haus sind wir mit und in dem Internationalen Museumsverband organisiert. Wir sind aber bestrebt, da auch noch weiterzugehen, auch gerade durch die Thematik, die unser Haus verkörpert.

     

    Kreativ Kontor: Ich glaube, da habt ihr bei euch im Haus schon einen guten Bruch bei diesem Thema vollzogen. Ihr habt ein Team aus vielen jungen Leuten. Ich durfte durch das Projekt 7Places einige von eurem Team kennenlernen und man darf sagen, das sind viele junge Frauen.

    Das sind eine Menge junger, starker Frauen, ja. Und das ist total gut! Es lag aber tatsächlich, als wir zum Beispiel zwei Volontärinnen eingestellt haben, einfach daran, dass, wenn man sich die Bewerbungen angeschaut hat: die waren einfach wirklich absolut stark. Also wir haben jetzt keine Quote in dem Sinne.
    Wir haben ein sehr vielfältiges Team. Wobei ich finde, Diversität spiegelt sich gerade in unserem beruflichen Umfeld auf ganz vielen Ebenen wider. Jeder bringt eine sehr eigene berufliche Biografie mit. Wir haben eben ja auch über meine Biografie gesprochen. Diese Art von Kombination und zusätzlich noch das Erfahrungswissen, was wir aus ganz vielen alltäglichen Situationen mitbringen, ist für jede und jeden besonders. Es ist wichtig, ein Arbeitsumfeld zu schaffen, in dem ein Wissenstransfer stattfinden kann und wo diese Erfahrungen tatsächlich eingesetzt und genutzt werden können. Das ist eigentlich wirklich das, was mir am Herzen liegt. Das können wir gerade sehr gut machen. Wir sind in einem Umfeld, in dem wir wieder viel leisten können. Das ist dann hoffentlich wieder so ein Leuchtturm, wo man dann an anderer Stelle sieht: es geht eben.

     

    Kreativ Kontor: Also kann man sagen, du arbeitest in einem Haus, was sich deiner Meinung nach zukunftsorientiert aufstellt, was sich auf Diversität und auf Teamfähigkeit konzentriert. Wenn wir zukunftsorientiertes Arbeiten betrachten, wie sieht denn die Zukunft im Zentrum selber aus. Ich meine, wir wissen alle, dass es jetzt erst einmal so weitergehen wird, wie wir es haben in der Corona-Situation. Auch mit einer gewissen Schwammigkeit in den Reglementierungen und Erlassen: Ihr durftet zwischendurch doch kurz öffnen habt jetzt wieder geschlossen. Wie plant man in diesem Jahr überhaupt noch?

    „Ich erlebe das gerade bei ganz vielen anderen Kolleg:innen aus anderen Häusern mit denen ich spreche, dass man natürlich wesentlich vielfältiger denken muss. Wo wir nie wieder von wegkommen ist, dass wir immer auch hybrid arbeiten sollten. Was wir vorher versäumt haben, was wir jetzt viel stärker in den Vordergrund stellen sollten, ist ein hybrides Arbeiten. Wir sollten nicht mehr die Ausstellung als rein physische Ausstellung in Präsenz alleine denken und alles andere lediglich als Begleitprogramm. Sondern Inhalte immer auch vielfältig im Web erweitern, um auch verschiedene Zugänge zu bieten.
    Bei uns finde ich, ist es auch nicht nur das Artefakt als solches, sondern was wir auf der inhaltlichen Schiene vermitteln. Das ist ja auch viel mehr. Wir sind ein Zentrum für verfolgte Künste. Da ist es so, dass dieser Aspekt immer mitgedacht wird. Der Aspekt, der eigentlich über das hinausgeht, was sich im Artefakt selber zeigt, also ein Bild eines:r verfolgten Künstler:in. Ein Text muss das auch nicht immer zum Thema haben.“

     

    Kreativ Kontor: Kann ein Haus überhaupt ohne den Kontakt zu Besuchenden, zu Konsumierenden – ohne den direkten Kontakt überhaupt leben? Kann man überhaupt das vermitteln, was man vermitteln möchte? Fehlt da nicht der Kontakt? Können Museen überhaupt auf diese Art ihr Statement transportieren?

    „Ich würde sagen, dass ein Kunstmuseum als solches nicht ohne den Ausstellungsraum existieren kann. Ich würde aber dennoch sagen, dass die Anliegen und Inhalte, die wir vermitteln, auf verschiedene Art und Weise transportiert werden können. Kontaktzonen mit Besucher:innen können einen auch außerhalb einer realen, wirklich physischen Kontaktzone stattfinden. Das hat auch den Vorteil, dass man sich eben in einer globalisierten digitalen Welt und weit vernetzten Umgebung auch Nähe schaffen kann zwischen Menschen, die sich sonst nie begegnet wären.
    Wir haben eine Künstlerin, die wir auch mit in 7Places aufgenommen haben: Dana Arielei, die auch ganz lange durch die sehr harten Lockdown-Beschränkungen in Israel festsaß und die man nur per Remote erreichen konnte. Trotzdem haben wir es geschafft, Diskussionsrunden und einen direkten Austausch herzustellen. Das ist eine mögliche Möglichkeit, die wir so sicherlich nicht viel stärker ausgebaut hätten, wenn Corona nicht wäre. Also ich glaube schon, dass es neue Wege aufgezeigt hat. Ich glaube auch, dass man im digitalen Bereich viel, viel mehr machen kann. Man sollte es eben immer als eine wichtige Säule sehen und nicht nur irgendwie als ergänzendes Material. Diese ganze „Visitor Journey“ eines Museumsbesuchs sollte man eben auch digital vor- und nachbereiten.
    Besucher:innen könnten schon bevor sie eine Ausstellung besuchen, die Möglichkeiten haben, bestimmte Inhalte für sich kennenzulernen. Auch die Nachbereitung, der Austausch muss nicht nur auf den Raum des Museumsbereichs beschränkt sein. Man kann für vorher und nachher immer Tools entwickeln, wie man Besucher*innen direkt einbeziehen kann. Mir schwebt vor, auch da partizipativ mehr zu machen. Wir möchten die Stadt, die Gesellschaft und Besucher*innen stärker in die Arbeiten unserer Inhalte miteinbeziehen.
    Wir sind gerade auch dabei, das mit dem Team zu planen, welches sich um Restaurierungsarbeiten und Inventar kümmert. Man kann da auch mal ins Depot schauen oder darauf, wie man mit Kunstwerken direkt arbeitet. Das ist etwas, was wir jetzt auch mehr nach außen bringen wollen. Restaurierungsarbeiten könnten auch direkt in der Ausstellung stattfinden. Es könnte in der Ausstellung ein Pult geben und eine Staffelei, wo live die Möglichkeit besteht, diesem [Restaurierungs-]*Prozess beizuwohnen. Aber auch so etwas lässt sich auch ins Digitale transportieren. Auch da kann man Einblicke geben, die man sonst nicht unbedingt bekommen kann. Mit dieser Idee wollen wir da auch weiterdenken. Mehr als man sieht, mehr als man sonst sehen kann, – etwas, was man begreifen kann. Da gibt es was. Das hat einen ideellen Wert. Das ist unser Ziel.“

     

    Kreativ Kontor: Du hast das Wort „Wert“ genannt. Da stellt sich natürlich mir als Außenstehender, der sicherlich im Kulturbereich unterwegs ist, aber jetzt nicht in einem Museum sitzt, die Frage, wie lange könnt ihr euch diese Situation rein finanziell noch tatsächlich leisten.

    „Wir haben durch den LVR und die Stadt Solingen eine finanzielle Grundausstattung, die allerdings natürlich nicht alle Projekte deckt, die wir machen. Das deckt im Wesentlichen Gehälter und Mieten. Letztlich sind alle Projekte, die wir umsetzen, auch Projekte, die wir über Drittmittel realisieren müssen. Ansonsten wäre es lediglich die Dauerausstellung – und die Dauerausstellung auch nur im Ist-Zustand.
    Es braucht immer Geld. Und es braucht viel Geld, um es möglichst gut zu machen. Wenn wir nicht über 7Places gezeigt hätten, über hohe Klick-Zahlen und ein reges Engagement, das wir es eben auch wert sind, unterstützt zu werden, wäre auch unsere Drittmittelakquise erschwert. Aber das hat man in der Kultur leider schon immer so gehabt. Selbst den Rechtfertigungszwang, dass man erklären muss, warum man da ist, warum man wichtig ist, warum man gehört, gefördert, gesehen werden muss. Da würde ich jedoch schon sagen, ich bin zuversichtlich, dass wir gute Wege gefunden haben durch den regen Austausch. Auch in den sozialen Medien, beispielsweise auf Instagram, haben wir sehr positive Resonanz bekommen. Wir haben auch direkt im Gespräch mit Besucher:innen verschiedentliche Tools getestet, um im Moment zu einem Austausch zu kommen. Ich glaube, wenn wir das nicht gemacht hätten und damit auch den Mittelgeber:innen gegenüber nicht sichtbar werden, wäre es schwieriger. Aber natürlich ist das eine Dimension, die andere Branchen viel stärker – und auch existenziell trifft. Ich bin da sehr froh, dass wir durch den LVR und die Stadt Solingen insofern starke Partner haben, dass wir öffentlich getragen sind.“

     

    Kreativ Kontor: Auf jeden Fall ist es schön zu hören, dass das Haus eine große Zukunftsperspektive hat.

    „Das hat es auf jeden Fall. Wir wollen definitiv wachsen.“

     

    Kreativ Kontor: Dein Wunsch für die nächste Ausstellung, wenn du sie jetzt planen könntest, was wäre es?

    „Mein Herzensprojekt ist die Überarbeitung der Literatursammlung. Generell die Idee, stärker interdisziplinär zu arbeiten – also stärker verschiedene Felder aufzurufen und verschiedene Bereiche unserer Anliegen zu vermitteln. Das ist mir wichtig. Mein Wunsch wäre es eben, verstärkt partizipativ zu arbeiten. Ich plane Veranstaltungsreihen, die der Umgestaltung dieser Literatur-Ausstellungen vorgeschaltet sind, die Bürger:innen und Interessierte mit einbeziehen. Da ist das Internet auch wieder von Vorteil, wenn man Leute zuschalten kann, die es nicht schaffen, räumlich zu uns zu kommen oder die es nicht schaffen, wenn wir wieder öffnen können, in einer Diskussionsrunde vor Ort teilzunehmen, aber vielleicht ebenso interessanten Input hätten. Da kann man das Feld viel weiter öffnen und auch viel, viel mehr Stimmen hören. Ich bin sehr gespannt darauf und habe schon einige Expert:innen im Auge, die ich gerne dann auch einladen und direkt in den Austausch bringen würde.“

     

    Kreativ Kontor: Wie sieht eigentlich der Austausch zwischen eurem Haus in der freien Wirtschaft aus? Gibt es da Unternehmen, die mit euch schon zusammengearbeitet haben?

    „Die Erweiterung unserer Sammlung und unserer Dauerausstellung hätte so nicht realisiert werden können, wenn es nicht Unternehmer:innen in Solingen gegeben hätte, die ihrerseits auch durch Spenden den großen Aufkauf eines Nachlasses zum Beispiel mitfinanziert hätten. Es gibt durchaus Unternehmen hier in der Region, die sich da schon maßgeblich daran beteiligt haben. Und es gibt auch mit einigen Unternehmen noch einen sehr regen Austausch. Gerade in Solingen vor Ort besteht von vielen Seiten ein großes Interesse am Haus. Andererseits muss man natürlich sagen, es könnte immer mehr sein.“

     

    Kreativ Kontor: Jetzt hat die Kuratorin Frau Birte Fritsch viel für das Zentrum der verfolgten Künste gesprochen. Kommen wir aber noch mal zu dir als Privatperson zurück. In der aktuellen Zeit –werden da irgendwelche Pläne gemacht?

    „Immer: weitermachen! Also ganz klar auch an mir selbst wachsen. Das, was ich gerade für das Zentrum gesagt habe, gilt natürlich auch für mich selbst. Offenbleiben, weitermachen und in diesem Wachsen ist natürlich auch inbegriffen, dass man die speziellen Herausforderungen der Zeit, aber auch in beruflicher Natur annehmen muss. Ich glaube schon, dass ich jemand bin, die sich gerne auch weiterentwickelt. Und lebenslanges Lernen ist für mich eben doch mehr als die Phrase, dass ich das bisher auch getan habe; dass ich fortführen möchte und da Wege finden möchte, das auch weiter umzusetzen.

     

    Kreativ Kontor: Dann, liebe Birte, kann ich erst mal Danke sagen für dieses tolle Gespräch bei dir. Ich freu mich auf sicherlich noch weitere Gespräche mit dir und würde sagen: Das nächste Mal dann im Biergarten.

    Das Gespräch mit Birte Fritsch führte Martin Wilberg.
    […]* Anm. d. Red.

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